1. Album
Als Anfang 1971 das erste Album der in Mannheim beheimateten Nine
Days Wonder erschien, handelte es sich keineswegs um eine neue Band,
die vom Zeitgeist des Undergrounds infiziert ihren Weg in die Öffentlichkeit
suchte.
Walter Seyffer, Bandgründer und Sänger, hatte sich bereits regionale
Meriten in verschiedenen Bands, u. a. The Graves, verdient und sich
durch die Hits englischer und amerikanischer Chartbreaker gecovert,
als er, dessen überdrüssig, kongeniale Musiker fand, mit denen er
seine musikalischen Vorlieben verwirklichen konnte.
Nach der Verabschiedung von den Coverversionen machte die Band,
die seit Ende 1966 als Nine Days Wonder firmierte, zahlreiche Musikerwechsel
durch, als sich im Februar 1970, inspiriert von Franz Zappa und
den Mothers of Invention (Seyffer: Zappa heißt der Papa!), King
Crimson, Van Der Graaf Generator, Soft Machine und dem Free Jazz
nicht abgeneigt, eine internationale Besetzung mit den Deutschen
Walter Seyffer und Rolf Henning (Gitarre, Piano), Karl Mutschlechner
(Bass) aus Österreich, dem Iren John Earle (Gesang, Saxofon, Flöte,
Gitarre) und Drummer Martin Roscoe aus England zusammenfand.
Diese Besetzung machte in kurzer Zeit auf sich aufmerksam und geriet
auch in den Focus von Produzent Peter Hauke, der Nine Days Wonder
als einer der ersten Bands für sein neu gegründetes Label Bacillus
unter Vertrag nahm.
Im Januar 1971 wurden die 4 Albumtitel, sämtlich Eigenkompositionen
der Band, mit Premium Toningenieur Dieter Dierks in dessen Studio
in Köln-Stommeln eingespielt.
Als das Album wenig später erschien, hatte es sowohl in musikalischer
als auch in gestalterischer Hinsicht Ausnahmecharakter. Musikalisch
höchst komplex mit überraschenden Arrangements, von hart gespielten
schrägen Gitarrenriffs bis zum Wohlfühlklang der akustischen Gitarre,
Unisono-Spielereien von Gitarre und Saxofon, schrägen und harmonischen
Gesangseinlagen, plötzlichen Tempowechseln; das Album zeigte viele
Facetten, die ein mehrmaliges Hören erfordern, um sie sämtlich zu
erfassen und die vor allem für kurzweiligen Hörgenuss sorgen: Ein
nur so von Ideen sprühendes musikalisches Feuerwerk, das internationale
Vergleiche nicht zu scheuen braucht.
Auch gestalterisch hatte sich die Band etwas einfallen lassen. Die
erste Auflage erschien in einem mit grünem Schaumstoff überzogenen
Klappcover, außergewöhnlich und sehr kostenintensiv, was in der
Folgezeit dazu führte, dass weitere Auflagen das von Hipgnosis für
die englische Veröffentlichung kreierte Fischcover, zierten.
Das legendäre deutsche Musikmagazin Sounds erkannte ebenfalls das
Außergewöhnliche des Albums und der Rezensent schrieb:
Das Debütalbum von Nine Days Wonder bringt eine Art von Musik, die
ich bisher noch von keiner anderen deutschen Gruppe gehört habe.
Jede Seite umfasst ein kürzeres und ein langes Stück, das sich jeweils
in mehrere ineinander übergehende Titel gliedert. Das Ganze wird
mit großer technischer Brillanz, vielleicht einem Hang zum Perfektionismus,
vorgetragen. Man merkt deutlich, dass die Musik sehr stark festgelegt,
arrangiert und nüchtern kalkuliert ist. Darin, wie auch in der Verwendung
der Sprache, zeigen sich gewisse Parallelen zu den Mothers. Nine
Days Wonder ist instrumental sehr ausgeglichen besetzt. Ausgezeichnet
gefällt mir die Rhythmussektion, die gelegentlich durch den Sänger
und Gruppengründer Walter Seyffer um ein zweites Schlagzeug erweitert
wird. Für den Rezensenten des Musikexpress strömte das Album eine
gewisse Hektik und Nervosität aus.
1970 spielten Nine Days Wonder eine Woche im Hamburger Starclub,
tourten nicht nur im ganzen Bundesgebiet sondern auch in Österreich,
Schweiz und Jugoslawien, absolvierten Auftritte in den deutschen
Fernsehsendungen "Jour Fix" und "Treffpunkte".
Im Sommer 1972 löste sich die Band auf. John Earle und Rolf Henning
zog es nach England; Martin Roscoe spielte zunächst bei 2066 & Then
und später bei AERA.
Saxofonist John "Irish" Earle
verstarb im Mai 2008. Earle wurde
im späteren Verlauf seiner Karriere ein sehr gesuchter Studiomusiker
und spielte bei einer Vielzahl unterschiedlichster Produktionen
mit, u. a. bei Katharina And The Waves "Walking on Sunshine", Graham
Parker, Shakin' Stevens, Thin Lizzy "Dancing in the Moonlight",
Gnidrolog, Motorhead, Huey Lewis und auf dem Album, dass die Q-Leser
zum Album des 20. Jahrhunderts wählten:
The Clash - "London Calling".
Gitarrist Rolf Henning
verstarb im Herbst 2010 in Leeds, England.
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